Lebenszeit

„Gewöhnliche Menschen überlegen nur, wie sie ihre Zeit verbringen. Ein intelligenter Mensch versucht, sie auszunutzen.“ (Arthur Schopenhauer)

Wir haben das Gefühl, unsere Zeit sinnvoll zu nutzen, wenn wir sie überwiegend für uns selbst nutzen oder wenn der Nutzen für einen anderen zumindest in unserem Interesse liegt (Partner, Familie, etc.). Der Nutzen und somit der Sinn eines Zeiteinsatzes liegt immer im Auge des Betrachters. Er ist etwas Persönliches. Persönlich interessant ist die Entwicklung der eigene Persönlichkeit. Eine sinnvolle (Aus-)nutzung der Zeit ist die persönliche Entwicklung oder das persönliche Wachstum.

Lebenszeit im Sinne der persönlichen Entwicklung verlängert sich, wenn man geht. Gehen verlängert jeden Augenblick. Wandern ermöglicht eine Verlängerung der Lebenszeit. Die Zeit vergeht rascher, wenn das Lauftempo erhöht wird. Die Geschwindigkeit, mit der eine Person unterwegs bin, passt sich an die Zeit an. Eine Stunde Wandern vergeht schneller als eine Stunde auf der Uhr. Die Langsamkeit ermöglicht die Sichtweise und Wahrnehmung von Details. Details zu erkennen, liefert Lebenszeit.

Milan Kundera sieht in seinem Roman „Die Langsamkeit“ einen Zusammenhang zw. der Langsamkeit und dem Gedächnis. Ebenso einen Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit und dem Vergessen. In der existenziellen Mathematik gibt es zwei elementare Gleichungen, die den Zusammenhang in eine Formel bringen: Der Grad der Langsamkeit verhält sich direkt proportional zur Intensität der Erinnerung. Der Grad der Geschwindigkeit verhält sich direkt proportional zur Intensität des Vergessens.

Was wir erfassen ist abhängig von unserer begrenzten Aufmerksamkeit. Die Erhöhung der Geschwindigkeit geht zulasten der Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit und Konzentration ist Voraussetzung für Erinnerung. Fehlt beides, dann Vergessen wir schnell und verlieren Lebenszeit.

Erhöht sich die Geschwindigkeit, wird die Zeit und der Raum enger. Mit schneller Geschwindigkeit steht man plötzlich vor dem Ziel. Der Weg zum Ziel wird bedeutungslos. Es ist vielleicht ein Irrtum zu meinen, die Zielerreichnung ist entscheidend. Mit dem Ziel als Ergebnis ist vielleicht etwas erreicht aber noch lange nichts wirklich erlebt. Lebenszeit ist ohne die Wahrnehmung und die Verfolgung des Weges nicht gewonnen.

Im Regelfall wählt doch jeder gerne den einfachsten Weg. Denjenigen Weg der schnell ist und am wenigsten Zeit kostet. Oder den angenehmsten Weg. Wie einfach ist der Weg des geringsten Widerstandes.

Der Philosoph Martin Heidegger wies darauf hin, dass die Wahl des bequemsten Weges eine sklavische Abhängigkeit von der inneren Stimme schafft. Für Heidecker ergibt sich ein Unterschied, ob man auf bequeme Art und Weise sein Leben lebt oder sein Leben führt. Der Weg des geringsten Widerstandes ist vorhersehbar, ohne Überraschungen und führt zu einem unfreien und langweiligem Leben. Das Leben aktiv zu führen bedeutet Bürden aufzunehmen, Widerstände auszuhalten und Persönlichkeit zu entwickeln.

denkengehen: Das Gehen befördert das Denken.

Eine lange Geschichte beginnt vor ein paar Millionen Jahren. So lange gehen Menschen und ihre Vorfahren schon. Der Mensch ist immer schlauer und schlauer geworden – und das ist kein Zufall. Wer geht, kann mehr sehen, er hat die Hände frei für komplexe Tätigkeiten, und er bewegt sich so sparsam fort, dass er noch Energie übrig hat – zum Beispiel für ein großes Gehirn. Hätte die Evolution uns nicht zum Gehen verholfen, so könnten wir wahrscheinlich gar nicht denken.

Tatsächlich vermuten Evolutionsbiologen, dass wir unseren Grips erst so richtig in Schwung bringen konnten, nachdem wir uns auf die Hinterbeine gestellt hatten. Dann hatten wir die Hände frei für motorisch anspruchsvolle Tätigkeiten und eine bessere Aussicht auf die Welt um uns herum. Das zentrale Steuerorgan bekam mehr zu tun und wuchs an seinen Aufgaben.

Unser Zentralorgan macht nur rund zwei Prozent des Gesamtgewichts aus, beansprucht aber 20 Prozent des Energieumsatzes. Würden wir nicht so minimalistisch auf zwei Beinen durch die Welt wandern, könnten wir uns so viel Hirnschmalz gar nicht leisten.

Aber damit ist die Geschichte vom Gehen und vom Gehirn noch nicht zu Ende. Gehen ist eine motorisch anspruchsvolle Tätigkeit, sie erfordert Koordination und Gleichgewichtssinn. Während andere Säugetiere fast von Geburt an durch die Welt springen, brauchen menschliche Kinder ein Jahr, bis sie sich auf zwei Beinen bewegen können.

Eine Besonderheit des Zusammenspiels zwischen menschlichem Gehirn und Körper ist die Lateralisierung: Die Aufteilung von Prozessen auf die rechte und linke Gehirnhälfte wird als Lateralisierung bezeichnet. Die rechte Gehirnhälfte kontrolliert die linke Körperhälfte und umgekehrt. Beim Gehen und bei anderen beidseitigen Bewegungsarten wie Kraulschwimmen und Radfahren müssen sich die Hemisphären daher eng absprechen. Sie übernehmen abwechselnd die Kontrolle über die Bewegungen und die Verarbeitung von Wahrnehmungen. Immer wieder verschieben sie Informationen von einer Seite zur anderen. Dabei werden Ideen und Erinnerungen gefiltert, sortiert und neu zusammengefügt (ZEIT Wissen Nr. 3/2017, 25. April 2017).

Es ist hilfreich seine Sensorik zu aktivieren, um sich zu öffnen für von außen kommende Impulse und sich diesen zu überlassen, um für Zufälle und sich überraschend zeigende Anregungen empfänglich zu sein. Im Hineingehen in die Bewegung befreit sich der innerlich Bewegte von der Last, die seine Bewegungsfreiheit hindert. Denkengehen ist auch eine Einladung an den Zufall und folgt damit keiner Gesetzmäßigkeit (Bertram Weisshaar, einfach losgehen).

Jean-Jacques Rousseau: „Im Gange liegt etwas, das meine Gedanken weckt und belebt; verharre ich auf der Stelle, so bin ich fast nicht imstande zu denken: mein Körper muss in Bewegung sein, damit mein Geist in ihn hineintritt.“